So sehr sich alle Geschichten – ob in Buch oder Film – unterscheiden, aus erzählerischer Sicht lassen sich die meisten auf ein ähnliches Konzept herunterbrechen, das schon die alten griechischen Sagen prägte: die Heldenreise. Der US-amerikanische Mythen-Forscher Joseph Campbell untersuchte Hunderte klassischer Mythen und fasste die Gemeinsamkeiten, auf die er dabei stieß, in seinem Konzept der Heldenreise zusammen. Campbell fand zwölf mehr oder weniger allgemeingültige Stationen, die der Held eines jeden Mythos durchläuft.
Die Heldenreise in modernen Romanen und Filmen
Auch in modernen Romanen und Hollywood-Filmen findet man die Struktur der Heldenreise (auch Campbell-Konzept genannt) wieder. Dies wurde durch Campbells Analyse sogar noch verstärkt. Denn offensichtlich hatte er ein Grundmuster entdeckt, das die meisten Menschen in ihren Bann zieht und eine Geschichte gespannt verfolgen lässt.
Das Muster von Campbell wurde noch von anderen Autoren, darunter vor allem Christopher Vogler, verfeinert und besonders für das Drehbuchschreiben angepasst. Die folgenden Ausführungen beziehen sich jedoch auf Campbells ursprüngliche zwölf Schritte aus seinem Buch Der Heros in tausend Gestalten. Mehr zur Heldenreise findest du hier.
Man kann wahrscheinlich 80% der erfolgreichen Filme und Bücher auf die Struktur der Heldenreise herunterbrechen. Dies bedeutet nicht, dass sie nach einem 08/15-Muster gestrickt sind, sondern dass sie bewährte Strukturen für neue Ideen nutzen, sodass die erzählten Geschichten vom Publikum leichter angenommen werden können.
Da es einfacher ist, die einzelnen Stationen direkt auch in der Praxis zu überprüfen, gehe ich sie an Hand des Romans tschick von Wolfgang Herrndorf durch. Alle Absätze, die sich auf tschick beziehen, finden sich in den Kästen wieder.
Zusammenfassung TSCHICK
Zunächst folgt eine kurze tschick Inhaltsangabe.
Tipp: Hier findet ihr zusätzlich eine ausführliche Zusammenfassung zum Jugendroman tschick.
Ausgangssituation TSCHICK
Tschick wird wie Maik von den anderen ausgeschlossen, nur macht das Tschick nichts aus. Maik, der in seine Mitschülerin Tatjana verliebt ist, freut sich auf den Beginn der Sommerferien, da seine Flamme dann eine Party für die gesamte Klasse geben wird. Wochenlang zeichnet er an einem Bild für sie, bis er einsehen muss, dass nicht die ganze Klasse eingeladen ist, sondern Tschick, Maik und ein dritter Außenseiter nicht willkommen sind. Als die Sommerferien anbrechen, verschwindet Maiks Mutter in die Entziehungsklinik, während sein Vater mit der Sekretärin auf einen „Geschäftstermin“ fährt. Maik bleibt allein zu Hause und Tschick besucht ihn.
Tschick und Maik starten ins Abenteuer
Ohne zu wissen, wo es lang geht, fahren sie aus Berlin heraus und irren über die Landstraßen. Dabei führen sie vor allem viele Gespräche und vertiefen ihre Freundschaft. Auf ihrem Weg treffen sie einen Jungen aus der Schule, „Adel auf dem Radl“, eine seltsame Familie und fliegen fast auf, als sie in einem Dorf einkaufen gehen und der ortsansässige Polizist auf sie aufmerksam wird.
Die Probleme nehmen zu
Isa lässt sich von den Jungs mitnehmen, nervt zunächst, doch irgendwann findet Maik Gefallen an ihr. Zu dritt fahren sie an einen See und baden, Maik schneidet Isas Haare und die beiden küssen sich, als Tschick dazu kommt. Nach einem Ausflug auf einen Berg sehen sich die drei plötzlich der Polizei gegenüber. Isa verabschiedet sich, Maik und Tschick fliehen im Lada über die Felder. So geraten sie in ein fast unbewohntes Dorf, in dem ein unheimlicher alter Mann auf sie schießt, sie dann aber auf eine Limonade einlädt. Nach dieser kurzen Unterbrechung geht die Flucht vor der Polizei weiter, die vorerst damit endet, dass Tschick den Wagen eine Böschung hinunterfährt.
Die Jungs werden jedoch von einer Frau aufgegabelt, die sie ins Krankenhaus bringt. Tschick bekommt einen Gips und die beiden hauen mit Hilfe eines gestellten Anrufs aus dem Krankenhaus ab. Tschick gesteht Maik, der nun den wiedergefundenen Lada fahren muss, dass er schwul ist.
Ende des Romans TSCHICK
Maiks Vater versucht, seinen Sohn mit Gewalt dazu zu bringen, gegen Tschick auszusagen, doch Maik weigert sich. Die Freunde sagen unabhängig voneinander vor Gericht die Wahrheit und werden beide recht milde bestraft. In der Schule ist Tatjana ziemlich beeindruckt von Maiks Abenteuern und auch von Isa erhält er einen Brief. Nachdem sein Vater zu Hause ausgezogen ist, blickt Maik dennoch positiv in die Zukunft, weil er die Erfahrung gemacht hat, dass er sich auf sich selbst verlassen kann.
Unser Tipp: das Lektüre-Paket zu TSCHICK:
Heldenreise in TSCHICK
Nun folgen die zwölf einzelnen Stationen der Heldenreise, illustriert am Beispiel des Romans tschick und ergänzt und passende Zitate aus dem Jugendbuch.
1. Der Ruf
Der Held, zunächst in seiner Alltagssituation dargestellt, erhält eine Information, die ihn dazu bewegen soll, ins Unbekannte aufzubrechen.
Im Fall von tschick lebt Maik sein gewöhnliches Leben, das in den Sommerferien sehr langweilig zu werden droht. Durch seinen neuen Klassenkameraden Tschick wird er aufgefordert, ein Auto zu klauen und ein Abenteuer zu wagen.
„Und wenn wir einfach wegfahren?“, fragte er. (S. 95)
2. Die Weigerung
Wenn der Ruf erfolgt ist, weigert sich der Held zunächst, ihn anzunehmen. Sei es aus Pflichtgefühl oder aus Angst und Unsicherheit – bevor die Reise losgehen kann, zögert der Held noch einmal.
Maik nimmt Tschick nicht ernst, als dieser den Vorschlag macht, einfach wegzufahren, macht sich über ihn lustig und findet etliche Gründe warum das nicht geht.
Ich bewies Tschick auf hundert Arten, dass es die Walachei nicht gab […]. (S. 99)
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3. Der Aufbruch
Nach anfänglichem Zögern lässt sich der Held doch überzeugen oder überzeugt sich selbst und begibt sich auf die Reise.
Maik, der zunächst nicht glaubt, dass Tschick einen Großvater in der Walachei hat, schaut schließlich im Internet nach und ist überzeugt. Da sein Vater nur Vorwürfe macht, aber kein echtes Interesse entgegenbringt, und er Tatjana vergessen möchte, willigt Maik schließlich ein, mit Tschick „in Urlaub zu fahren“.
Ich rannte zur Tür, und da stand Tschick mit einem Seesack in der Finsternis. (S. 101)
4. Probleme / Prüfungen 1
Gleich nach Aufbruch zu seinen Abenteuern muss der Held erste Prüfungen bestehen, Probleme lösen und Aufgaben erfüllen. Diese nehmen oft an Schwierigkeit zu.
Dass Maik und Tschick keine Landkarte haben, ist nur das erste von vielen Problemen, denen sie sich stellen müssen. Sie haben außerdem nicht das richtige Essen eingepackt, kein Benzin, keinen Plan und keine Ahnung. Und sie müssen immer darauf aufpassen, dass sie nicht auffallen – schließlich sieht man ihnen direkt an, dass sie noch keinen Führerschein haben können.
„Landkarten sind für Muschis“, sagte Tschick, und da hatte er logisch recht. Aber wie man es bis in die Walachei schaffen sollte, wenn man nicht mal wusste, wo Rahnsdorf ist, deutete sich da schon als Problem an. (S. 104f.)
5. Übernatürliche Hilfe
Ein Problem, das sich scheinbar nicht lösen lässt, kommt durch die Hilfe eines Mentoren doch zu einem guten Ende.
Maik trifft auf seiner Reise mehrere Mentoren, besonders zentral aber ist Isa, die sich nicht nur bestens auf der Müllkippe auskennt, sondern den Jungs auch zeigt, wie man mit einem Schlauch und einem Kanister Benzin klaut.
„Eine halbe Stunde macht ihr rum und kriegt’s nicht raus, ihr Schwachköpfe! Ihr Vollprofis!“ (S. 162)
6. Die erste Schwelle
Ein besonders schwerer Kampf muss vom Helden gemeistert werden, und manchmal muss dieser Kampf auch mit sich selbst ausgefochten werden.
Natürlich kann die wilde Fahrt nicht immer so weitergehen: Irgendwann werden Maik und Tschick von der Polizei entdeckt. Durch ihre überstürzte Flucht bauen sie einen ersten Unfall und landen im Krankenhaus (Details siehe TSCHICK Inhaltsangabe weiter oben).
Und das war jetzt die Lage: Da waren wir Hunderte Kilometer kreuz und quer durch Deutschland gefahren, auf Baustellengerüsten über den Abgrund gerollt und von Horst Fricke beschossen worden, wir waren eine Piste entlang- und einen Abhang runtergebrettert, hatten uns fünfmal überschlagen und alles mehr oder weniger ohne Schramme überstanden – und dann kam ein Flusspferd aus dem Gebüsch und zerstörte Tschicks Fuß mit einem Feuerlöscher. (S. 193)
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7. Probleme / Prüfungen 2
Nach dem Überschreiten der ersten Schwelle ist noch lange nicht Schluss, denn der Held muss weiterhin noch schwierigere Prüfungen bewältigen und Aufgaben lösen. Auch diese Probleme werden wieder mit Hilfe von Mentoren angegangen.
Natürlich wollen Tschick und Maik nicht im Krankenhaus bleiben, sondern weiterfahren. Doch zunächst müssen sie die Schwestern mit einem fingierten Anruf dazu bringen, sie gehen zu lassen, nur um sich anschließend weiteren Problemen gegenüber zu sehen, denn schließlich kann Tschick nun nicht mehr Auto fahren und muss Maik ans Steuer lassen.
Aus dem Telefonhörer kamen unverständliche Geräusche, und plötzlich war die Stimme wieder da. Diesmal nicht mehr ganz so schlaftrunken. „Verstehe“, sagte der Mann. „Wir führen ein fiktives Gespräch.“ (S. 207)
8. Initiation und Transformation des Helden
Der Held findet, wonach er gesucht hat: einen Schatz, ein Mittel, das die Welt retten kann, oder eine Antwort auf eine für ihn zentrale Frage. Dadurch verändert sich vor allem der Held selbst.
Maik stellt fest, dass die Welt besser ist, als er dachte, und dass es sich lohnt, an das Gute im Menschen zu glauben. Dies bedeutet für ihn vor allem – aber nicht nur – an das Gute in seinem Freund Tschick.
Seit ich klein war, hatte mein Vater mir beigebracht, dass die Welt schlecht ist. […] Das hatten mir meine Eltern erzählt, das hatten mir meine Lehrer erzählt, und das Fernsehen erzählte es auch. […] Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegeneten, das nicht schlecht war. (S. 209)
9. Die Verweigerung der Rückkehr
So, wie der Held anfangs zögert, in sein Abenteuer aufzubrechen, will er nun nicht in die Welt des Alltags zurückkehren.
Nach dem zweiten Unfall, Maiks „Verhaftung“, Tschicks Verschwinden und schließlich Maiks Entlassung aus dem Krankenhaus, dümpelt der Junge in seinem Zimmer vor sich hin, weigert sich, auf die Argumente seines Vaters einzugehen oder auch nur aufzustehen.
Ich lag da, während es immer dunkler wurde, und betrachtete das Rollo und dachte darüber nach, wie lange alles noch so bleiben würde. (S. 231)
10. Das Verlassen der Unterwelt
Auch zum Ende hin zögert der Held nur das Unvermeidliche hinaus, denn durch inneren oder äußeren Zwang wird er doch noch zur Rückkehr in die Alltagswelt getrieben.
Mit der Gerichtsverhandlung muss Maik sich der Welt stellen und beweist seinem Vater und allen anderen, dass sein Vertrauen Tschick gegenüber gerechtfertigt war.
Und als Tschick dran war, erklärte er sofort, dass das mit der Walachei seine Idee gewesen wäre und dass er mich geradezu ins Auto hätte zerren müssen. (S. 235)
11. Die Rückkehr
Nach der Rückkehr in den Alltag ist der Held verändert und muss sich seiner Umwelt nun neu nähern. Er trifft auf Unglauben oder Unverständnis und muss das Erlebte in seinen Alltag integrieren.
In der Schule wird Maik kritisch beäugt. Die Mitschüler wissen nicht, wie sie die Gerüchte über ihn und Tschick einordnen können. Zunächst sieht es so aus, als ob Maik so ausgeschlossen wie immer bleiben würde. Dann jedoch zeigt ausgerechnet Tatjana sich interessiert an Maiks Geschichte. Allerdings sieht Lehrer Wagenbach nicht ein, Maik zu glauben, bis ausgerechnet die Polizei vor der Klassenzimmertür steht, weil wieder mal irgendwo ein Lada geklaut wurde.
„Sieh mal an.“, sagte Wagenbach. „Der saubere Herr Klingenberg! Unfälle, Verfolgungsjagden, Schießereien. Und in einen Mord ist er nicht verwickelt? Na, man kann nicht alles haben.“ (S. 242)
12. Herr der zwei Welten
Zum Schluss schafft der Held es, seinen Alltag mit dem auf seiner Reise entdeckten Wissen zu vereinen.
Maik kommt nicht nur in der Schule mit seinem neuen Selbstbewusstsein zurecht, sondern kann sogar akzeptieren, dass sein Vater auszieht. Für seine Mutter hat er tiefes Verständnis. Maik fühlt sich ihr auf eine besondere Weise nah, die vor dem Sommer nicht möglich gewesen wäre.
Ich dachte nämlich, dass sie mich jetzt wahrscheinlich wieder Psycho nennen würden. Und dass es mir egal war. Ich dachte daran, dass es Schlimmeres gab als eine Alkoholikerin als Mutter. Ich dachte daran, dass es jetzt nicht mehr lange dauern würde, bis ich Tschick in seinem Heim besuchen konnte, und ich dachte an Isas Brief. (S. 253)
Unser Tipp: das Lektüre-Paket zu TSCHICK: