DER LÄRM DER ZEIT von Julian Barnes

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Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch war einer der wichtigsten russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts und hatte in der Sowjetunion eine ähnliche Bedeutung wie beispielsweise der hierzulande bekanntere Igor Strawinski. Wie viele Künstler seiner Zeit sah sich Schostakowitsch einem totalitären System gegenüber, das sehr konkrete Erwartungen an Schriftsteller, Komponisten und Maler hatte: Die Kunst sollte leicht verständlich sein, den Staat feiern und regelmäßig abgeliefert werden.

Stellvertretend für viele, denen es unter Stalin ähnlich ging, setzt Julian Barnes Schostakowitsch in seiner fiktionalisierten Biographie Der Lärm der Zeit ein literarisches Denkmal. Der Musiker kam schon früh in Konflikt mit der Regierung, als eine Oper von ihm in der Prawda, der Zeitung, die als Organ der KPdSU diente, nicht nur zerrissen, sondern als nicht den politischen Erwartungen entsprechend beschrieben wird. Sehr wahrscheinlich wurde die Kritik von Stalin selbst geschrieben. Von da an weiß Schostakowitsch sich auf der Liste möglicher Staatsfeinde.

Die erste Begegnung mit Schostakowitsch in Der Lärm der Zeit findet entsprechend in einem Treppenhaus statt, wo der Komponist Nacht für Nacht auf seine Verhaftung wartet, im Anzug und mit gepacktem Koffer. Er wartet nicht in der Wohnung, um seine kleine Familie nicht zu gefährden. Die Sorge war jedoch umsonst, und Schostakowitsch erhält eine zweite Chance, die schmale Gratwanderung zwischen der Kunst, die er machen möchte, und der, die das Regime unter Bedrohung seines Lebens von ihm erwartet, anzutreten.

Der Lärm der Zeit: Geschichte eines Genies und Geschichte eines Landes

Der Lärm der Zeit ist Julian Barnes’ erster Roman, nachdem er 2011 mit Vom Ende einer Geschichte (endlich) den Man Booker Prize gewonnen hat. Wie auch in seinen anderen Romanen erschafft Barnes durch seine Sprache eine durch und durch melancholische Stimmung, die dem Musik-Genie Schostakowitsch eine ganz eigene, nachdenkliche Stimme verleiht. Dabei verbindet Barnes geschickt die Geschichte seiner Hauptfigur mit der seines Heimatlandes und knüpft damit direkt an die Aussage seines Vorgänger-Romans an: “Geschichte ist die Summe der Lügen der Sieger”. Auch in The Noise of Time spielt es eine große Rolle, wer die Deutungshoheit über die tatsächlich stattgefundenen Ereignisse hat.

Ebenfalls typisch für die Bücher von Barnes ist, dass die eigentliche Handlung sich auf einer psychologischen Ebene abspielt, und dies trifft auch auf Der Lärm der Zeit zu. Nur drei Situationen werden geschildert. Diese sind jedoch exemplarisch für Schostakowitschs Ringen mit Moral, künstlerischem Anspruch und Verantwortung für seine Familie und sein eigenes Leben, das ihn oft genug dazu bringt, zum Beispiel auch Musik-Untermalung zu russischen Propaganda-Filmen zu schreiben, ihn aber niemals in die Partei eintreten lässt (was ihm einiges erleichtert hätte).

Der Titel Der Lärm der Zeit zitiert den gleichnamigen Titel eines Bands von Ossip Mandelstam, der wie Schostakowitsch auch unter Stalins Herrschaft in Ungnade fiel, anders als letzterer jedoch auf Grund seiner Kunst in einem sowjetischen Lager starb.Google

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