Our Town (Unsere kleine Stadt) von Thornton Wilder

4.4
(17)

Thornton Wilders Unsere kleine Stadt (englischer Originaltitel: Our Town) ist ein amerikanisches Drama in drei Akten, das am 22. Januar 1938 in den USA uraufgeführt wurde. Das Stück erzählt die Geschichte der fiktiven Kleinstadt Grover’s Corners anhand des scheinbar banalen, alltäglichen Lebens ihrer Einwohner*innen. Mit Techniken des epischen Theaters schafft es Unsere kleine Stadt, die Anekdoten aus Grover’s Corners in eine Allegorie des menschlichen Daseins zu verwandeln.

Inhaltliche Zusammenfassung Unsere kleine Stadt

Erster Akt: Der Alltag in Grover’s Corners und auf der Bühne

Akt I von Our Town führt die kleinbürgerliche Welt und ihre Charaktere sowie die besondere Spielweise des Stücks ein. Wilder sieht für sein Drama eine karge Bühne ohne nennenswerte Kulissen und Requisiten vor, die Schauspieler*innen mimen die Interaktion mit nicht vorhandenen Gegenständen, Räumen und Figuren. Die erste Figur auf der Bühne ist der Stage Manager, der das Publikum direkt anspricht und Unsere kleine Stadt als ein Theaterstück von Thornton Wilder vorstellt. Fiktionalität, ein Versinken des Publikums im Bühnenspiel, wird auf allen Ebenen des Stücks von Beginn an verhindert.

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Geführt und kommentiert vom Stage Manager entwickelt sich im ersten Akt ein Bild vom alltäglichen Kleinstadtleben in Nordamerika im Jahr 1901. Der Zeitungsbote bringt die Zeitungen, Milch wird mit dem Karren ausgeliefert, die Familien Webb und Gibbs frühstücken und schicken ihre Kinder zur Schule. Die Nachbarskinder George und Emily schwärmen füreinander. In den vielen scheinbar belanglosen Alltagssituationen lernt das Publikum sukzessive eine Vielzahl von Figuren kennen. Jede Alters- und Statusgruppe ist vorhanden. Erneut den direkten Bruch der Fiktion herstellend, führt der Stage Manager Interviews mit Professor Willard und dem Verleger Mr. Webb zur Geschichte der Stadt. Bereitwillig beantworten sie im Anschluss Fragen aus dem Publikum.

Zweiter Akt: Liebe und Heirat

Drei Jahre sind vergangen und George und Emily stehen unmittelbar vor ihrer Hochzeit. Das Publikum von Unsere kleine Stadt beobachtet einen stressigen Tag: Die Milch wird im strömenden Regen ausgeliefert, George besucht seine Schwiegereltern in spe und hinterlässt vor lauter Unsicherheit einen schlechten Eindruck.

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Hier unterbricht der Stage Manager das Spiel und eröffnet eine Rückblende: Das Publikum erlebt jetzt, wie sich George und Emily ein Jahr zuvor auf dem gemeinsamen Nachhauseweg über ihre Zukunft unterhalten und sich ihre Liebe gestehen. George fasst den Entschluss, in Grover’s Corners zu bleiben (statt aufs College zu gehen), um irgendwann die Farm seines Onkels zu übernehmen.

Zurück in der Gegenwart des Stücks sind George und Emily verunsichert und wägen sich nicht bereits für eine Ehe. Unterstützt von ihren Eltern beruhigen sie sich wieder und ihre Ehe wird feierlich vom Stage Manager geschlossen.

Dritter Akt: Leben und Tod

Der letzte Akt von Our Town spielt im Jahr 1913 auf dem Friedhof in Grover’s Corners. Seit dem zweiten Akt sind also neuen weitere Jahre vergangen. Den ersten Akt spiegelnd, eröffnet der Stage Manager die Szene und führt das Publikum herum. Die in Our Town seit der Hochzeit von Emily und George verstorbenen Bürger*innen werden vorgestellt, darunter Mrs. Gibbs, Wally Webb, Mrs. Soames und Simon Stimson. Aktuell wohnt das Publikum der Beerdigung von Emily bei, die bei der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben ist und nun auf dem Weg ins Reich der Toten ist.

Noch während ihrer eigenen Beerdigung reiht sich Emily in den Kreis der toten Bürger*innen von Grover’s Corners ein und kommentiert die Feierlichkeit, die Gäste und das Leben an sich. Wie alle Toten kann Emily die Grenze zwischen Tod und Leben überschreiten und als Zuschauerin zurück in ihr altes Leben kehren. Die Warnungen der anderen Toten in den Wind schlagend, entscheidet sich Emily, ihren 12. Geburtstag noch einmal mitzuerleben. Voller Schmerz muss Emily allerdings erkennen, dass die Lebenden ihr Leben vertun und vor lauter Nichtigkeiten, Stress und Ablenkungen die Schönheit des Alltäglichen sowie die Liebe zueinander nicht wahrnehmen können. Emily kehrt resigniert ins Reich der Toten zurück und beobachtet ruhig, wie ihr Ehemann George an ihrem Grab weint. Mit guten Wünschen für den Heimweg des Publikums beendet der Stage Manager mit dieser Szene das Stück.

Die wichtigsten Figuren in Our Town

Stage Manager

Der Erzähler, Kommentator und Führer durch Grover’s Corners und Our Town. Er wechselt kontinuierlich zwischen der Handlung des Stücks und seiner Vermittlerrolle. Mal tritt er als Pfarrer bei der Hochzeit von Emily und George auf, mal als Soda-Ladeninhaber, mal als durchschnittlicher Bürger der Stadt. Dann ist er wieder der Bühnenmanager des Stücks, der Requisiten schiebt, das Publikum beteiligt und so explizit mit der Fiktion des Schauspiels bricht.

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Emily Webb

Die weibliche Hauptfigur von Our Town, Tochter von Mr. und Mrs. Webb und die ältere Schwester von Wally Webb. Das Publikum erlebt Emily als schwärmerisches Mädchen in Akt I, während ihrer Hochzeit mit George Gibbs in Akt II und schließlich nach ihrem frühen Tod in Akt III. Durch Emilys Rückkehr ins Leben und ihre Resignation über die Alltagsblindheit der Menschen gegenüber dem Schönen und Wahren entfaltet Our Town seine allegorische Kraft.

George Gibbs

Die männliche Hauptfigur von Unsere kleine Stadt, der Sohn von Dr. und Mrs. Gibbs und das Pendant zu Emily. Das Publikum lernt George als ambitionierten und etwas trotzigen Jungen von nebenan in Akt I kennen, der sich in Akt II und Akt III zu einem zunehmend verantwortungsbewussten Mann, Ehemann, Vater und Versorger entwickelt.

Themen und Aussagen

Die Vergänglichkeit der Existenz und die Schönheit des Alltäglichen

Die Zeit fliegt in Grover’s Corners und Geburt, Leben und Tod folgen Schlag auf Schlag. In der Schnelllebigkeit der menschlichen Existenz, die mit der Industrialisierung, Urbanisierung und den vielen technologischen wie kulturellen Innovationsschüben im frühen 20. Jahrhundert in Nordamerika besonders spürbar war, bleibt kaum Zeit, das Leben zu genießen. Emily versteht erst nach ihrem Tod, wie kostbar das alltägliche Leben war. Jetzt soll ihre Familie nicht trauern, sondern vielmehr das Leben mit offenen Augen und Herzen genießen.

Die Wichtigkeit von Familie

Zwischenmenschliche Beziehungen, Freundschaft und Liebe stehen im Mittelpunkt von Our Town. Mit Emily und George stellt Wilder die Ehe zwischen Mann und Frau in den Fokus. George lernt, ein verantwortungsbewusster und sich selbst nicht zu wichtig nehmender Mann zu sein – er reift zum Ehemann und Vater heran. Emily lernt zu spät, dass sie die Liebe ihrer Familie im alltäglichen Beisammensein nicht ausreichend zu schätzen wusste. Den Alltag in der Familie wieder mit offen Augen als wahre Liebe und als höchstes Glück sehen zu können, diese Fähigkeit möchte Unsere kleine Stadt seinem Publikum mit auf den Weg geben.

Das epische Theater und der Bruch mit der Fiktion der Bühne

Das karge Bühnenbild, die fehlenden Requisiten, die ständigen Zeitsprünge und Fiktionalitätsbrüche durch den Stage Manager und seinen Austausch mit dem Publikum, all das hindert das Publikum daran, ins Spiel auf der Bühne einzutauchen. Our Town inszeniert vielmehr eine Trennung zwischen dem Drama auf der Bühne und dem realen Leben. Durch diese ständige Distanzierung zwischen Spiel und Lebenswirklichkeit erreicht Unsere kleine Stadt, dass die Anekdoten der Figuren Grover’s Corners als eine Allegorie des menschlichen Daseins verstanden werden. Über die fiktionale Kleinstadtwelt hinaus trifft Wilder also allgemeingültige Aussagen zum modernen Leben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

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Weitere Infos zum Buch

In Deutschland musste das Publikum bis nach Kriegsende im Jahr 1945 auf die Premiere von Unsere kleine Stadt warten, sieben Jahre länger als das Publikum in den USA. 1945 war das Stück bereits ein Welterfolg: Direkt nach seiner Uraufführung 1938 gewann Our Town den Pulitzerpreis und zwei Jahre später erreichte die erste Verfilmung ein Massenpublikum.

Über den Autor

Thornton (Niven) Wilder war US-amerikanischer Staatsbürger, wurde am 17. April 1897 in Wisconsin geboren und starb am 7. Dezember 1975 in Connecticut. Für seine Romane und Theaterstücke erhielt er viele Auszeichnungen und Preise, darunter drei Pulitzerpreise, den amerikanischen National Book Award sowie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

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