Flughunde (Marcel Beyer)

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Der Roman Flughunde erzählt aus zwei unterschiedlichen Perspektiven Geschehnisse aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Wir verraten dir hier, worum es in dem Roman geht und was die wichtigsten Themen sind.

Inhaltliche Zusammenfassung Flughunde

Flughunde ist im Wechsel aus zwei verschiedenen Perspektiven geschrieben.

Zunächst erzählt der Tontechniker und Wissenschaftler Hermann Karnau von seinen Erlebnissen. Er ist bei Reden von Joseph Goebbels für die Aufstellung von Mikrofonen und Lautsprechern zuständig. Sein eigentliches Interesse gilt jedoch den verschiedensten Geräuschen, die er sammelt. Besonders die Laute, die Patienten von sich geben, die aufgrund von Schüssen vorübergehend taub geworden sind, findet Karnau spannend. Er sammelt sie für seine “Stimmkarte”.

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Im Wechsel mit Karnau erzählt Helga Goebbels, die Tochter von Joseph Goebbels, die Kriegsgeschehnisse aus ihrer Sicht.

Die Wege von Karnau und Helga kreuzen sich, als sie und ihre Geschwister vorübergehend bei ihm einquartiert werden, weil sich zuhause niemand um sie kümmern kann.

Beide Erzählstimmen berichten von teils alltäglichen, teils gewaltvollen oder schockierenden Erlebnissen. So entwickeln sie sich in unterschiedliche Richtungen. Helga wird älter und begreift, was ihr Vater und die anderen Machtinhaber tun. Dadurch entfernt sie sich gedanklich von ihren Eltern.

Karnau hingegegen entdeckt im Krieg die Möglichkeit, seine Wissenschaft weiter voranzutreiben und auch moralische Grenzen über Bord zu werfen. Er nutzt die Chance, sich in ein Lazarett versetzen zu lassen, um seine Stimmkarte weiter aufzubauen. Schließlich wirft er alle ethischen Prinzipien über Bord und nimmt selbst Experimente an Behinderten vor.

Zum zweiten Mal begegnen sich Karnau und Helga im Führerbunker kurz vor Ende des Kriegs. Karnau versucht, den Kindern die Zeit im Bunker zu erleichtern. Deren Aufenthalt endet jedoch damit, dass sie per Giftspritze getötet werden, als die Lage für ihre Elten aussichtslos wird.

Karnau überlebt und lebt noch Jahrzehnte nach den Ereignissen. Er streitet seine Verantwortung für die Taten ab und behauptet, er wäre nicht selbst an Experimenten und an den Aufnahmen beteiligt gewesen.

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Flughunde ist in neun Teile gegliedert. Innerhalb der Teile wechseln sich Karnau und Helga als Erzählstimmen ab. Nur der siebte Teil ist aus der Sicht eines allwissenden Erzählers geschildert. Dieser Teil ist im Jahr 1992 angesiedelt, woher man erfährt, dass Karnau den Krieg überlebt und sich nie mit seiner Verantwortung auseinandergesetzt hat.

Die wichtigsten Figuren in Flughunde

Hermann Karnau

Hermann Karnau ist Akustiker, der zu Beginn des Romans die Aufgaben eines Tontechnikers übernimmt. Dadurch gewinnt er das Vertrauen von Joseph Goebbels. So schafft Karnau es, seinem eigentlichen Interesse zu folgen und eine sogenannte “Stimmkarte” zu erstellen. Hierzu arbeitet er mit Gehörlosen und Sprachbehinderten. Anfangs nimmt er deren Laute auf, später reichen ihm diese Ergebnisse für seine Forschung nicht mehr. Also nimmt er Experimente an Menschen vor.

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Karnau steht stellvertretend für zahlreiche Wissenschaftler*innen, die während der Nazi-Herrschaft Menschenversuche durchführten und diese im Namen der Wissenschaft rechtfertigten. Die Grenzen zwischen Erkenntnisinteresse und sadistischem Verhalten waren dabei fließend. Hinzu kam, dass sämtliche dieser Menschenversuche der Ethik der Wissenschaft widersprachen und meist menschenverachtend waren.

Für viele der Wissenschaftler*innen zählte der Mensch in diesen Versuchen nicht. Gerade die Nazi-Herrschaft verhalf ihnen dazu, Experimente durchzuführen, die in keiner anderen Gesellschaftsform akzeptiert worden wäre.

Auch Karnaus Umgang mit seiner Vergangenheit ist typisch. Er distanziert sich nicht davon und reflektiert diese auch nicht. Darauf angesprochen lügt er und leugnet seine Beteiligung an den Verbrechen.

Helga Goebbels

Helga Goebbels ist die Tochter von Joseph Goebbels. Sie wächst in einem Haushalt auf, in dem die Nazi-Dikatatur nicht nur normal ist, sondern in dem die Gründe dafür formuliert und kommuniziert werden. Ihr Blick auf die historischen Ereignisse ist zunächst der eines Kindes, das seinen Alltag sieht.

Im Verlauf der Erzählung hinterfragt Helga Goebbels jedoch mehr und mehr, was ihr Vater tut und welchen Zweck er verfolgt. Mit ihren Geschwistern stirbt sie im Führerbunker, ist zu diesem Zeitpunkt aber bereits auf dem Weg, sich von ihren Eltern zu emanzipieren.

Themen und Aussagen

Zweiter Weltkrieg / Nazi-Diktatur

Flughunde gibt einen Einblick in die Zeit der Nazi-Diktatur aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Beiden gemeinsam ist jedoch, dass sie sich im Zentrum des Geschehens aufhalten. Karnau ist Wissenschaftler und aufgrund seiner Verbindung zu Goebbels ganz nah an der Macht. Helga ist seine Tochter und Familienmitglied. Die Erzählung ist aus dieser Sicht natürlich perspektivisch gefärbt. Dadurch werden die geschilderten Ereignisse noch drastischer.

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Wissenschaft und Verantwortung

Wissenschaft und Forschung sind immer mit besonderer Verantwortung verbunden, weil man nie weiß, welche Folgen das, was man entdeckt, haben kann. Viele Bücher (zum Beispiel Die Physiker von Friedrich Dürrenmatt) setzen sich mit diesem Thema auseinander.

Flughunde betrachtet die Verantwortung von Wissenschaft nicht in Bezug auf die erzielten Ergebnisse, sondern im Hinblick auf die verwendeten Methoden. Während der NS-Zeit gab es hinsichtlich der angewendeten Methoden kaum Einschränkungen für Wissenschaftler*innen, sodass viele von menschenverachtenden Experimenten Gebrauch machten. Auch Pseudo-Wissenschaften, die gar kein wirkliches wissenschaftliches Interesse hatten, erlebten einen Boom.

Karnau, der die Umstände für sein persönliches Interesse nutzte und dabei moralische Grenzen überschritt, leugnet nach dem Krieg, dies getan zu haben. Damit legt er zwei Mal die Verantwortung für sein Handeln ab: einmal als er die Experimente durchführt, und das zweite Mal durch fehlende Reflektion im Nachhinein.

Weitere Infos zum Buch

Der Roman wurde 1996 veröffentlicht. Er wurde als Hörbuch und als Graphic Novel adaptiert.

Über den Autor

Marcel Beyer wurde 1965 in baden-Württemberg geboren. Er schreibt Romane, Gedichte und Epen. Er hat zahlreiche Romane, Erzähl- und Gedichtbände veröffentlicht. Für sein Werk wurde er vielfach ausgezeichnet, darunter 2016 mit dem Georg-Büchner-Preis.

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