Emmanuel Levinas

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Anders sein heißt normal sein. Wir finden unseren Wert, indem wir uns für andere öffnen. Dies ist eine Kern-Aussage des französisch-litauischen Philosophen Emmanuel Levinas. Für ihn war das Anderssein eine Selbstverständlichkeit, die wir Menschen als Bereicherung annehmen sollen. Der Schriftsteller war vor wenigen Jahrzehnten nur einem Kreis von philosophisch interessierten Intellektuellen bekannt. Heute werden seine Bücher von vielen Menschen auf der Welt gelesen. Seine Werke stehen regelmäßig auf den Bestsellerlisten der Fachbücher über ethische Themen. Dass Philosophie wieder im Trend ist, mag nicht zuletzt an Emmanuel Levinas’ zeitlosen Gedanken über die Menschlichkeit liegen.

Levinas stellte schon früh die Welt der Philosophie auf den Kopf

Emmanuel Levinas wurde als Sohn eines Buchhändlers am 12. Januar 1906 in Kaunas im Kaiserreich Russland (heute Litauen) geboren. Nach anderen Quellen ist sein Geburtstag der 30. Dezember 1905. Diese Verwirrung hängt damit zusammen, dass zur Zeit seiner Geburt in seiner Heimat der gregorianische Kalender gültig war, dem eine andere Zeitrechnung zugrunde liegt.

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1923 ging er nach Frankreich, um an der Universität Straßburg Philosophie zu studieren.

1927 wechselte Emmanuel Levinas an die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Dort wurde er mit den Lehren von Martin Heidegger und Edmund Husserl vertraut. Heidegger und Husserl zählen zu den einflussreichsten Philosophen und prägten später auch das Werk von Emmanuel Levinas.

Im Jahr 1930 promovierte er und ließ sich in Paris nieder. Im selben Jahr erhielt er die französische Staatsbürgerschaft.

Anfang der 1930er Jahre arbeitete Levinas an der Übersetzung eines Buches von Edmund Husserl, das dessen Vorträge an der Sorbonne zusammenfasst (Cartesianische Meditationen).

In dieser Zeit schrieb er auch die erste französischsprachige Studie über den Philosophen Martin Heidegger.

Von 1934 bis 1939 unterrichtete er angehende Lehrer an einem jüdischen Institut in Paris, das er später selbst leitete.

Levinas wurde bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum Kriegsdienst verpflichtet und geriet 1940 in Gefangenschaft. Nach fünf Jahren in einem Speziallager für jüdische Kriegsgefangene im niedersächsischen Fallingbostel kam er zum Kriegsende 1945 frei.
Seine Frau und seine Kinder überlebten den Krieg, weil sie bei Freunden Unterschlupf finden konnten. Emmanuel Levinas Sohn Michael (* 1949) machte sich später als Musiker und Komponist einen Namen.

1946 wurde Levinas zum Direktor der L´Ècole normale israélite orientale in Paris berufen.

Seine 1947 erschienenen Werke Vom Sein zum Seienden und Die Spur des Anderen verschafften ihm internationale Anerkennung als Philosoph.

1961 habilitierte er und lehrte ab 1967 als Professor an den Universitäten in Nanterres und Poitiers.

1970 bekam Emmanuel Levinas die Ehrendoktorwürde der Loyola University of Chicago verliehen.

1973 folgte ein Ehrendoktor-Titel der katholischen Universität Leuven/Belgien.

Er lehrte bis zu seiner Pensionierung als Professor (1976) unter anderem an der Pariser Sorbonne.

1989 erhielt er den Balzan-Preis für Philosophie. Die Balzan-Stiftung ehrt seit 1961 Geistes- und Naturwissenschaftler, sowie Personen aus Kunst und Kultur, die sich durch besondere Leistungen verdient gemacht haben.

Levinas war als geistreicher und humorvoller Gesprächspartner beliebt und gab bis ins hohe Alter gerne und viele Interviews. Am 25. Dezember 1995 starb Emmanuel Levinas in Paris.

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Die Wertschätzung anderer Menschen als oberstes Prinzip

Levinas zweifelte schon als junger Philosoph die vorherrschenden Gesetzmäßigkeiten der abendländischen Philosophie an. Er hob die damals geltende Lehrmeinung auf, die die Metaphysik in den Mittelpunkt der Philosophie stellt. Stattdessen rückt für ihn die Ethik ins Zentrum.

Nach Ansicht Levinas’ ist deshalb nicht die Frage nach dem eigenen Sein und Werden die wichtigste. Er betrachtet den Menschen vielmehr aus seiner Verantwortung für sich und andere heraus.

In der klassischen Metaphysik geht es darum, alles erfahrbar zu machen, was über die körperliche Existenz des Menschen hinausgeht. Levinas sieht aber die wichtigste Daseinsform darin, dass wir uns selbst wahrnehmen, indem wir andere wahrnehmen. In diesem Zusammenhang prägte er die Begriffe des „Anderen“, der „Verantwortung“ und des „Antlitz“, die mittlerweile aus der zeitgenössischen Philosophie nicht mehr wegzudenken sind.

Levinas prägt einen neuen Begriff: den Hitlerismus

Seine Übersetzungen der Schriften Heideggers sind nicht als wortwörtliche Bearbeitungen zu verstehen. Schon zu diesem Zeitpunkt ließ er eigene Gedanken und Überlegungen in sein Werk mit einfließen.

Emmanuel Levinas beschäftigte sich bereits 1934, kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, mit deren Gedankengut. Er beschrieb diese neu aufkommende „Geisteshaltung“ als Hitlerismus. Für ihn zielte dieser Hitlerismus auf einfache, grundlegende Dinge ab – und deutete auf das Erwachen elementarer Gefühle hin. In Verbindung mit der aufkeimenden Gewalt hielt er den Nationalsozialismus und seine Grundgedanken für gefährlich und zerstörerisch.

Damals interessierte sich jedoch kaum jemand für seine Einschätzung. Seine Artikel über dieses Thema fanden keinen großen Anklang.

Die Erfahrung des Göttlichen ohne starres Religionsdenken

Emmanuel Levinas kam schon während seiner Kindheit mit den Schriftstellern Puschkin, Dostojewski und Tolstoi in Berührung. Aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Familie studierte er bereits in jungen Jahren den Talmud und die Tora; die bedeutendsten Lehrbücher des Judentums.

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Obwohl ihn später viele Einflüsse prägten, sind doch viele seiner Schriften von der Lebensanschauung des jüdischen Glaubens beeinflusst.

Das wichtigste und einschneidenste Erlebnis war für Emmanuel Levinas die Erfahrung des Holocaust. Der systematischen Vernichtung der europäischen Juden während der Zeit des Nationalsozialismus waren seine Eltern, seine Brüder und auch andere Familienangehörige zum Opfer gefallen.

Daher hatte Levinas nach 1945 beschlossen, nie wieder deutschen Boden zu betreten.

Die wichtigste Botschaft war für ihn, menschlich zu denken und zu handeln. Aus der Verantwortung heraus – nicht aus einem religiösen Pflichtgefühl.

Bildnachweis: von Bracha L. Ettinger, CC BY-SA 2.5, Link

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